Ganzheitliches Weidemanagement für Grünlandbetriebe im Allgäu
Wie kann man in Zeiten des Klimawandels Grünland weiterhin erfolgreich bewirtschaften, was kann man tun, um nicht nur irgendwie mit zunehmenden Wetterextremen klarzukommen, sondern weiterhin als Betrieb produktiv zu sein und möglichst auch noch einen positiven Beitrag zu leisten? Das sind drängende Fragen, die sich für Grünlandbetriebe stellen, an ermutigenden Praxisbeispielen mangelt es jedoch häufig noch. Bei wissenschaftlichen Untersuchungen werden allzu oft nur einzelne Aspekte betrachtet. Wie Weideland, Boden und Klima zusammenhängen, wird noch viel zu wenig erforscht.
In dieser Situation hat Christine Bajohr im Jahr 2019 Neuland betreten und gemeinsam mit Umweltplanerin und Ingenieurökologin Franziska Hanko ein innovatives Forschungsprojekt konzipiert – mit dem Ziel, diese Lücke zwischen Forschung und Praxis zu schließen.
Christine Bajohr bewirtschaftet gemeinsam mit ihrem Mann Martin den Kugelsüdhanghof im Oberallgäu. Bereits seit einigen Jahren erprobt sie regenerative Methoden auf ihrem Hof. Ausbildungen im Holistic Management am Savory Institut und zum Thema Bodenbiologie bei Elaine Ingham ermöglichten ihr neue Einblicke in die Zusammenhänge rund um Klima, Bodenleben, Kuhherde und Beweidung.
Das besondere an ihrem Foschungsprojekt: Landwirt:innen und Wissenschaftler:innen arbeiteten über drei Jahre gemeinsam daran, neue Strategien für eine ressourcenschonende, produktive und resiliente Grünlandbewirtschaftung zu erproben.
Start war im März 2020, mit acht Milchviehbetrieben aus dem Oberallgäu. Das Projekt wird von der EU im Rahmen der Europäischen Innovationspartnerschaft für landwirtschaftliche Produktivität und Nachhaltigkeit (EIP-Agri) gefördert, mit dabei auch der Lehrstuhl für Bodenkunde der TU München. Die wichtigsten Mitarbeiterinnen aber: die Kühe. Sie sollen durch Beweidung dazu beitragen, die Ökosystemprozesse am jeweiligen Betriebs-Standort zu regenerieren. Richtig eingesetzt, kann die Beweidung eine Steigerung der Nährstoff- und Wasserspeicherkapazität des Bodens erreichen und einen artenreichen, tiefwurzelnden Pflanzenbestandes mit hoher Photosyntheseleistung generieren. Entscheidend ist, dass die Kuhherde nach den Prinzipien des Holistic Management geführt wird, also relativ eng zusammen und nur kurz auf einzelnen Weideparzellen bleibt und dann weitergetrieben wird. Die Weideparzellen erhalten eine ausreichende Erholungszeit, so dass langfristig Kohlenstoff im Boden gebunden wird und Humus aufgebaut wird.
Wie das genau abläuft, erklärt die wissenschaftliche Projektleiterin Franziska Hanko: “Grundlage für die Einlagerung von Bodenkohlenstoff in Form von organischem Material ist die pflanzliche Biomasse oberhalb und im Boden sowie ein aktives Bodenleben, das u. a. auf ausreichende Exsudat-Ausscheidungen über die Pflanzenwurzel angewiesen ist. Je weniger die Pflanze durch Übernutzung bzw. Überweidung gestresst ist, desto höher die Photosynthese-Leistung und folglich auch das Wurzelwachstum. Ein ausgeprägtes Wurzelwachstum führt zu verbesserter Wasser- und Nährstofferreichbarkeit und lagert im Endeffekt durch die erhöhte Biomasse vermehrt Kohlenstoff im Boden ein. Eine gute Weideplanung […] ist dafür essenziell. Daraus geht hervor, zu welchem Zeitpunkt, mit welcher Intensität und Dauer die Fläche beweidet werden soll, so dass sowohl das Futterangebot als auch die Bodenstabilität mit dem Bedarf bzw. der Besatzdichte der Herde übereinstimmen” (Artikel in „LebendigeErde“, 6-2020).
Die Ergebnisse, wie Kohlenstoffeinlagerung im Boden, Wasserspeicherfähigkeit und Biodiversität wurden über die Projektlaufzeit jährlich untersucht. Genauso wurden die verschiedenen Betriebe beobachtet, die Holistic Management in ihrem jeweiligen Kontext einsetzen und wie sich das neue Management auf Zufriedenheit von Mensch und Tier, auf die Arbeitsbelastung und die Produktivität auswirkt.
Die Erfahrungen und Forschungsergebnisse werden jetzt, nach erfolgreichem Abschluss, in einem umfangreichen Praxisleitfaden geteilt, der auf der Projektwebsite zugänglich ist. Für alle Landwirt:innen, die Praxistipps und Entscheidungshilfen für eine klimafreundlichere, existenzsichernde Grünlandbewirtschaftung wünschen.